ABSTURZ EINES „ROSINENBOMBERS“ IN HOHENOFEN

Vom 26. Juni 1948 bis zum Herbst 1949 flogen die westlichen Besatzungsmächte mit „Rosinenbombern“ nach Westberlin, um über Luftbrücken die dortige Bevölkerung zu versorgen. Nach Kriegsende hatten die Alliierten – USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion – Deutschland und die Hauptstadt Berlin in vier Verwaltungszonen aufgeteilt. Als die Westmächte 1948 gegen den Willen der Sowjetunion eine Währungsreform durchsetzten und die D-Mark einführten, riegelte diese am 24. Juni 1948 den westlichen Sektor von Berlin ab. Der Kalte Krieg nahm seinen Anfang.

Es gab mehrere Luftbrücken und die von Hamburg führte über Hohenofen. Alle drei Minuten brummte ein Flugzeug am Himmel. Geflogen wurde bei Tag und Nacht. Täglich sollen 5000 Tonnen Lebensmittel und 92000 Liter Milch nach Berlin geflogen worden sein. Umgerechnet wären es täglich 330 Güterwagen gewesen. Die Zahlen schwanken jedoch …

Die Amerikaner setzten vor allem Propellermaschinen der Serie Douglas DC-3 ein. Dieser Flugzeugtyp hat – wie die „Tante Ju“ (JU-52) – Geschichte geschrieben. Insgesamt sollen 77000 Versorgungsflüge mit diesem Typ durchgeführt worden sein. Aus allen Richtungen kamen Flugzeuge mit Hilfsgütern nach Berlin geflogen – ein ununterbrochenes Brummen über den Dächern von Berlin. Es waren riskante Flüge, flach über die Hausdächer hinweg. Die Flugzeuge flogen so niedrig, dass man vom Boden aus die Crew erkennen konnte. Kinder winkten der Besatzung in Erwartung von Süßigkeiten zu. Wurden Bonbons, Schokolade oder andere Artikel abgeworfen, wackelte das Flugzeug mit den Tragflächen. Das wussten die Kinder.

Eines Tages vernahm man in Hohenofen ungewöhnliche Motorengeräusche am Himmel – kein normales Brummen, sondern quälendes Geheul. Über dem Dorf kreiste ein viermotoriges Flugzeug. Es kurvte und kurvte, die Besatzung suchte nach einem geeigneten Notlandeplatz. Und dann zwischen 11 und 12 Uhr das Drama: Plötzlich löste sich ein Motor und fiel 300 Meter vom Dorf entfernt auf ein Feld. Dorfbewohner beobachteten das kreisende Flugzeug. Sie dachten, dass es über der Papierfabrik abstürzen würde. Aber die Maschine kam ins Trudeln und stürzte in ein Kornfeld, etwa 400 Meter vom Dorf Richtung Dreetz entfernt. Sie bohrte sich in den Boden und es gab einen lauten Knall. Rauchende Trümmer lagen verstreut umher; 300 Meter von der Absturzstelle entfernt der Motor.

Zwei Stunden später trafen Mitarbeiter der sowjetischen Militärkommandantur ein. Noch am selben Tag wurden die Wrackteile von britischen Militärs abgeholt und auf Spezialfahrzeuge verladen. Auch die Leichen der Besatzung, die bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren, wurde geborgen. Unter den Toten der vierköpfigen Crew befand sich der Funkoffizier Zander Irving Peterson. Sein Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes erst vier Wochen alt.

Jahrzehnte später, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, suchten seine Frau und der Sohn die Unglücksstelle auf. Zu DDR-Zeiten hielten sie einen Besuch für undenkbar. Sie nahmen an, keine Einreisegenehmigung zu erhalten. 1994 trafen sie sich in Hohenofen mit der damals amtierenden jungen Bürgermeisterin in deren Wohnzimmer – wo es kaum Platz gab, denn es waren auch Augenzeugen und Medienvertreter gekommen. Die kleine Stube platzte aus allen Nähten. Erinnerungen wurden ausgetauscht. Später suchte man die Absturzstelle auf. Dort fand eine kleine Trauerfeier statt. Ein Abschied nach 46 Jahren.

Aus: Siggi Sawall „Vom Spatenstich zum Blumenbeet“

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