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Es gab in Sieversdorf Anfang der 1920er Jahre einige Jungen, denen man, wenn etwas passierte, immer die Schuld gab. Warum? Weil sie es auch immer waren. Mickelat, Görn und einige andere brüteten ständig verrückte Ideen aus.
An den langen Sommerabenden unternehmungslustiger als sonst, wollten die Jungs diesmal ausprobieren, ob es stimmt, dass Katzen von Baldrian angelockt werden. So hatte es der Lehrer in einer der letzten Schulstunden erwähnt. Nur, wo konnte man das erproben? Am besten am Haus der Frau Dachdeckermeister, die immer über die Schulkinder schimpfte. Sie war jung und schön und oft gelangweilt und in der Woche meist Strohwitwe. Der Ehemann war oft nur an den Wochenenden zu Hause. Und unter den Junggesellen in Sieversdorf hatte sich herumgesprochen, dass man dort, natürlich nur, um die Langeweile der armen Frau zu vertreiben, ein gutes Werk tun konnte.
Gesagt, getan. Das Fensterbrett eines zur Straße zeigenden Fensters wurde mit dem Elixier eingestrichen. Keine Viertelstunde später waren die ersten Katzen da. Sie rollten sich in dem herrlich duftenden Katzenkraut, versuchten sich gegenseitig vom Fensterbrett zu drängen und machten dabei in der abendlichen Stille großen Lärm. Nach kurzer Zeit waren schon mehr als 20 Katzen auf dieser Party und es wurde immer lauter.
Pfarrer Troschke, der nach dem Besuch der Gaststätte noch einen Abendspaziergang machte, wurde nicht durch den für Menschen eher unauffälligen Duft angelockt, sondern durch das inzwischen weit hörbare Katzengeschrei. Als er sich nun der Katzenversammlung näherte, ging plötzlich ein Fenster am Haus der Frau Dachdeckermeister auf und ein Mann warf, übelste Schimpfwörter rufend, mit einem Holzpantinen nach den Katzen – traf aber den Pfarrer und zwar am Bein, sodass dieser noch an den nächsten Tagen humpelte. Der Pfarrer sah den Mann, der nur mit einer Unterhose bekleidet war, und der Mann stand wie angewurzelt im Fenster und sah den Pfarrer – und es war nicht der angetraute Ehemann. Die Kinder, die begriffen, was passierte, liefen aus ihrem sicheren Versteck davon, in dem sie nie erkannt worden wären. Der Geistliche bemerkte, wie drei Jungen davonliefen, erkannte aber nur den Mickelat und den Görn. Und es kam, wie es kommen musste: Auch die Klatschbase des Dorfes und einige andere gute Bürger erschienen am Tatort, ebenfalls vom Lärm angelockt. So wurde das ganze Geschehen auch noch öffentlich und konnte nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden. Nun erst erschien am Fenster die Frau Dachdeckermeisterin im Hemd, zerrte wortlos den jungen Mann zurück und schloss dasselbe.
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Am nächsten Tag kurz vor Mittag sprach der Pfarrer mit dem Lehrer, um die Übeltäter für diesen Streich zu bestrafen. Der junge Görn allerdings hatte die Bestrafung früher erwartet und sich morgens alle seine langen Hosen angezogen und ein für solche Zwecke extra zugeschnittenes Leder in den Hosenboden gelegt. Es war aber die Zeit, in der das Obst zu reifen beginnt. Und wer schon mal unreifes Obst gegessen hat, der weiß, dass er sich von einer Toilette nicht zu weit entfernen darf. So hatte sich der Görn, als er auf dem Weg zur Schule war und an einigen Obstbäumen vorbeikam, auch dieses Leiden zugezogen und musste nach der dritten Stunde schnell dem Drang nachgeben. Nun, wo es schnell gehen musste, vergaß er, dass mehrere Hosen runterzuziehen waren. So geschah, dass alle Hosen, auch die runtergezogene, schmutzig wurden. Die Pause reichte gerade noch aus, um vom Schulhaus über die Felder nach Hause zu laufen und nach einer Schnellreinigung die letzte noch vorhandene dünne Sommerhose anzuziehen. Und Görn kam gerade noch recht zum Stundenanfang, um seine Bestrafung mit der Rute zu empfangen. Auch Mickelat bekam seinen Teil ab. Der Lehrer kannte alle Tricks und zog ihm die Pappe aus der Hose. Aber zu dieser Zeit war die Prügelstrafe in der Schule schon umstritten und von dem Sieversdorfer Lehrer wurde sie so angewendet, dass doch eher die Angst die Strafe war als diese leichten Hiebe auf den Allerwertesten. Striemen auf der Sitzfläche hat jedenfalls keiner davon bekommen. (Es kann sich jeder vorstellen, dass auch der Lehrer über diesen Streich lachen musste.)
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Als nun der Samstag kam und der Herr Dachdeckermeister zu seinem Eheweib zurückkehrte, wurde ihm schon auf dem Bahnhof berichtet. Es soll am ganzen Abend ein Riesenkrach im Dachdeckerhaus gewesen sein, aber zur Nacht herrschte wieder Ruhe. Der Dachdeckermeister blieb danach erst einmal für einige Wochen zu Hause und fuhr auch nie wieder für eine ganze Woche zur Arbeit. Im Dorf und in der näheren Umgebung wurde seine Arbeit zwar nicht so gut bezahlt wie in der Stadt, aber er hatte sein Auskommen.
Dass später die fünf Kinder des Dachdeckermeisters jedes eine andere Haarfarbe hatten, das kommt auch in den besten Familien vor. Überlegen Sie nun nicht, wer dieser Dachdeckermeister war, vielleicht war es auch ein Zimmermann oder ein Maurer. Nur die sich noch daran erinnern können, wissen, wer es war.
Text: Michael Deylitz