Man sollte schon auf die Alten hören, aber auch sie wissen nicht alles. So manch ein alter Mensch erzählt, dass er so etwas wie die letzte Überschwemmung oder den letzten Sturm noch nie erlebt hat. Doch die Natur funktioniert in anderen Zeitspannen. Ein menschliches Leben, wenn es lange anhält, dauert 80 oder 100 Jahre. Dazu kommt noch, dass die meisten Menschen schnell vergessen. In der Natur ist ein Menschenleben eine lächerlich kurze Zeit. In der Natur geht es um tausend, zehntausend oder gar Millionen Jahre.
Nehmen wir nur die letzten tausend Jahre. Da gab es Überschwemmungen, mit denen die im 20. und 21. Jahrhundert nicht zu vergleichen waren. So die „Die Grote Mandränke“, die Fluten an der deutschen Nordseeküste 1362 und 1634. Oder am St. Magdalenentag, dem 25. Juli 1342 nach heutiger Zeitrechnung, gab es die schlimmste Hochwasserkatastrophe für Köln. 11,52 Meter stand der Pegel. Die Bewohner fuhren mit Booten über die Stadtmauern. 1784 gab es zwar ein noch höheres Hochwasser von 13,55 KP, dieses richtete aber geringeren Schaden an.
Im Juli 1742 gab es in Sieversdorf ein Unwetter, bei dem Hagelkörner von zwei Pfund vom Himmel fielen. Die Temperatur sank innerhalb von Minuten bis wenige Grad über den Gefrierpunkt. Häuser wurden zerstört und Vieh auf der Weide erschlagen. Im Gestütswald war ein Kutscher leichtsinnig und wollte seine Pferde retten, alle wurden erschlagen. Die damalige Fachwerkkirche in Sieversdorf wurde zerstört und ab 1747 durch die heutige Kirche ersetzt. Am nächsten Tag lag der Hagel noch knöcheltief. (Mehr dazu hier)
Wer erinnert sich an solche Ereignisse? Sogar das Unwetter vom Juli 1958 ist aus dem Gedächtnis der meisten verschwunden. Auch die Überschwemmung von 1926, bei der einige Sieversdorfer nasse Füße bekamen. Oder die Überschwemmung von 1942, bei der der Dosse-Wall brach. Dabei wurde damals die Straße bei Neuamerika unterspült und das ganze Land zwischen Köritz, Dreetz, Großderschau und Rübehorst überschwemmt.
Während der letzten tausend Jahre gab es in unserer Region 86 Wetter- und Überschwemmungsereignisse, die großen Schaden anrichteten. Das sind ungefähr acht Ereignisse pro hundert Jahren. Doch die Menschen bauen sorglos ihre Häuser in Überschwemmungsgebiete. Sie sagen: „Hier kommt doch kein Wasser her“ oder „Mein Opa hat gesagt, hier war noch nie Wasser“. Kommt dann ein Hochwasser – und das nächste kommt bestimmt -, ist das Geschrei groß. Dabei reicht in unserer Region ein Blick in eine Karte mit Höhenangaben. Die Ingenieure, die die Eisenbahn und die Straße zwischen Neustadt und Rathenow bauten, sind immer vom höchsten Hochwasser ausgegangen. Deshalb waren die Schienen ein gutes Maß dafür.
Was uns in Zukunft von der Natur beschert wird, kann keiner voraussagen. Das Klima schwankt etwa alle 600 Jahre. So war es im 9. und 10. Jahrhundert so warm, das die Wikinger den Namen Gönland (grünes Land) vergaben. Und zu dem 600-Jahre-Zyklus kommt jetzt noch die menschengemachte Klimaerwärmung.
Text: Michael Deylitz